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2.3b. Legende, wie Gott beschloss, die Schöpfung nach dem Vorbild eines Mandalas zu ordnen (GHS 1).

Zu 1Mose 1,1 - 2,4a.


Es war einmal vor langer Zeit,

vielleicht noch in der halben Ewigkeit,

da sah der liebe Gott – man glaubt es kaum –

die Blüte einer Lilie im Traum.

Wie sie sechs lichte Strahlen ringsum sendet,

bin Ich von ihrer Schönheit ganz geblendet,

sprach ER, und schaff Ich jemals eine Welt,

die Mir und Meinen Engeln wohlgefällt,

– obwohl, es gibt ein paar mit scheelem Blick, *)

die scheuen immer noch davor zurück –

so nur nach einem Bilde ähnlich diesem!

Mit ihm vor Augen kann Ich mich entschließen,

zumal ich seh schon, wie mit Bienenfleiß

sechs Beinchen tauchen in den innern Kreis.

Am liebsten fang ich es so an, dass jedes Kind es wiederholen kann.

Dem sag Ich dann:

Wirf einen Stein in eine klare Wasserflut hinein.

Da siehst du, wie ganz still und leis

die Wellen zeichnen Kreis um Kreis.


Als nächstes zieh den Kreis mit deiner Hand

von einem Mittelpunkt aus in den Sand.

Doch es ist gleich, in Ton und auf Papier,

mit welchem Zirkel, überlass ich dir.

Den musst du nur mit seinem Maß behalten,

willst du’s nach meinem Vorbild fortgestalten.

Von diesem Ring, er bleibt vorerst ganz leer,

erfährst du dann, mein Kind, am Ende mehr;

er ist die Null, bevor es weitergeht,

der Grund, auf dem die Zahlenleiter steht.


Den Sonntags-Zirkel setzt du oben drauf,

rings um den Randpunkt lässt du ihm den Lauf.

Die Augen schließ, denk, wie der Flügelschlag

des Lichts sich hebt zum hellen neuen Tag

und wie, bevor der Sonnenball sich zeigt,

die Morgenröte langsam höher steigt,

wie um das Licht ein jedes Wesen ringt,

Sehnsucht danach durch alle Fasern dringt.

Dann öffne deine Augen, um die Strahlen

in Stein, auf Tuch oder Papier zu malen.


Der Montags-Kreis folgt, wo die ersten beiden,

am besten linksherum gedacht, sich schneiden.

Schau nun die Regenwolken in der Höh’ –

und in der Tiefe breitet sich die See.

Dazwischen steht gespannt, im Kreis gezogen,

sechsfarbig vor dir wunderbar ein Bogen.

In seinem Glanze lass Seerosen blühn, **)

vom Meeresgrund es leuchten algengrün.

Du spürst, wie durch die sturmbewegten Lüfte

zieh’n ahnungsweise erste Frühlingsdüfte.


Am dritten Tag füllst du das Dienstags-Rund

mit frischen Trieben, Blumen kunterbunt.

Auf gutem Boden, wo es wurzeln kann,

fang mit dem Gras, mit Gänseblümchen an,

misch Anemonen, Hahnenfüße drunter,

das Buschwerk dann, den Weißdorn, den Holunder.

Darüber breiten Bäume Zweige hin.

Die Erde ist die große Gärtnerin,

die sich mit einem Pflanzenkleide schmückt,

das dich mit Frucht und Farbenpracht beglückt.


Der vierte Ring - ein Fenster in die Ferne:

Du siehst die Sonne leuchten, und die Sterne

aus tiefen Räumen zwischen Wolken blinken,

weithin dem Licht des ersten Tages winken.

Die große Bärin tappt unhörbar leise

stets um den Polstern unentwegt im Kreise.

Auf Pegasus muss sich der Halbgott schwingen ***)

und einen Drachen immerfort bezwingen,

indes der Mond, weil er sein Licht sich borgt,

am Nachtgewölbe für Abwechslung sorgt.


Nun fünftens folgt, was hoch in Lüften schwebt

und drunten See und Meeresflut belebt.

Da siehst du glitzern einen Heringsschwarm,

der Krake winkt dir mit dem achten Arm.

Nicht wie der Kiemenfisch, durch seine Lungen

atmet der Wal und nährt mit Milch die Jungen.

Der Bussard breitet spähend seine Schwingen,

die Nachtigall ist Meisterin im Singen,

dazwischen steigt die Lerche immer weiter

auf ihrer unsichtbaren Jubel-Leiter.


Der sechste Ring, dem dritten gegenüber,

birgt, was an Land stieg, Frösche oder Biber,

zumal Landratten sehr verschiedner Art,

das zahme Schaf, den schnellen Leopard,

den schlauen Fuchs, der nach den Hühnern späht,

den stolzen Hirsch, der auf die Brautschau geht.

Ein Mensch! Du selbst, du hebst die Hände frei,

du tastest, sprichst und greifst nach allerlei,

übst damit kleine oder große Macht,

doch Hände hast du selbst nicht ausgedacht.


Der siebte Ring ist frei und ohne Bild,

und was versprach der Anfang, ist erfüllt.

Du schaust zurück und überdenkst die Schritte,

bist heimgekehrt, geöffnet ist die Mitte,

und sie heißt Sabbat, - freu mit Israel

dich an der Lilienblüte, am Juwel!

Den Glanz des Feiertags verdankt ihr ihm,

du Christ am Sonntag, freitags du Muslim. ****)

Allein der eigne Ring wär’ echt…? Den Streit

beendet bitte vor der Ewigkeit!


*) „Mit scheelem Blick“, dazu G.Theißen, Erleben, 291. 295. Thomas Mann, Joseph und seine Brüder, 35f. – Koran, Sure 7,11-18.

**) Zum zweiten „Tag“, 1Mo 1,6-8, sind Wasserpflanzen ergänzt.

***) Sternbilder mit Namen aus der griechischen Sage: Perseus gelangt auf Pegasus, dem geflügelten Pferd, das aus dem Blut der Medusa entsprungen ist, nach Äthiopien und besiegt den Wal, der Andromeda, die Tochter des Cepheus und der Cassiopeia verschlingen will.

****) Freitag ist der Tag des Gemeinschaftsgebets im Islam. Auch nach dem Koran hat Gott in sechs Tagen geschaffen: Sure 10,3; 50,38.


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