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8.5. Wenn uns im Herbst (wie 3.4.1) - zum Christushymnus im Philipperbrief, 2,5-11

Aktualisiert: 21. Mai

Es ist unsicher, ob die Verse Philipper 2,6-11 in ihrer gebundene Sprache von Paulus selbst stammen oder ihm vorgegeben waren. Jedenfalls hat dieser Text Glaubensaussagen in Bekenntnis und Lied der Kirche grundlegend geprägt. Das Lied zum Apostolikum und zum Kirchenjahr (3.4.1. Wenn uns im Herbst zur Erntezeit) könnte hier seinen Platz haben. Stattdessen setze ich an diese Stelle eine Predigt, die ich am Palmsonntag 2024 in Heidenheim gehalten habe, und zwar im Rahmen eines Seminars über das Werk von über 80 jüdischen Autorinnen und Autoren: „Das Neue Testament jüdisch erklärt“ (Deutsche Bibelgesellschaft 2022).

Die Predigt schließt an Friedrich Rückerts Lied Dein König kommt (EG 14) an, das sowohl im Advent als auch am Sonntag vor Ostern seinen Sitz hat.

 

EG 14,1-5 Dein König kommt

Der König kommt. Wisst ihr‘s schon? Kommt er hoch zu Ross? Auf einem indischen Elefanten? Nein, auf dem Langohr, einem Esel. So ist es doch prophezeit. Auf, ihm entgegen! Das ist Palmsonntag.-

Heutzutage gehört es sich, nach Geschlechtergerechtigkeit zu fragen. Kommt auch irgendwo die Königin? Die Queen, im vereinigten Königreich, das war einmal. Die meine ich nicht.

Aber Woche für Woche wird eine andere begrüßt. Um es mitzuerleben, müssten wir nur am Freitagabend in Jerusalem oder anderswo hinein horchen in eine Synagoge. Die Männer der Gemeinde haben sich um 180 Grad zum Eingang hin umgewendet, und nun singen sie herkömmlich seit Jahrhunderten das Lied mit dem Kehrvers: „Komm, mein Freund, der Braut entgegen, wir wollen die Ruhe empfangen“.

Heinrich Heine hat es bedichtet: „In dem Liede wird gefeiert die Vermählung Israels mit der Frau Prinzessin Sabbat, die man nennt die stille Fürstin.“

Sie wird an jedem Freitagabend kurz nach Sonnenuntergang in den jüdischen Gemeinden feierlich begrüßt. In der Sabbatruhe soll abgelegt sein aller Stress, alle Angst, alle Panik (das verbindet den Sabbat mit dem Tier des Messias, ein Esel kennt im Unterschied zum Pferd keine Panik).

An jedem Sabbat wird ein Vorgeschmack gekostet vom Frieden, der nicht nur Israel, sondern allen Völkern verheißen ist in den heiligen Schriften. Christlich ist ja der Wochenfeiertag von der einen, muslimisch von der anderen Seite an den Sabbat angelehnt worden.  

Der Überfall auf feiernde Menschen in Israel am Samstag 7. Oktober letzten Jahres war ein Anschlag auf den Sabbat. Er sollte Panik bewirken wie noch nie. Wann wird dieser Albtraum im Nahen Osten enden? Soll der Friedefürst von großer Macht, den wir gerade besungen haben, keine Chance bekommen? Der Erde Herren empören sich gegen ihn, gegen einen Kämpfer ohne Speere, einen ohne Angst vor Bomben, Raketen oder Drohnen und ohne den Willen, damit Angst zu verbreiten.

Als vor kurzem der Papst für mehr Worte statt mehr Waffen eingetreten ist, haben viele sich empört. Auf jeder der feindlichen Seiten glaubt man an den eigenen Sieg, in Moskau oder Kiew, in der Nato, bei der Führung Jerusalems oder der Hamas.

Die Regierenden sind verdächtig: Sie haben Beweggründe, dass Kriege sich fortsetzen. Erstens müssen sie nicht an die Front. Zweitens könnten die Völker ihre Throne umstürzen, sie absetzen von ihren Regierungssitzen, damit der Krieg aufhört.

Wir hoffen nicht nur am Palmsonntag auf einen anderen Sieg – der nicht durch Schlachten gewonnen wird, sondern durch Schlichten.. Wir singen mit der letzten Strophe - ich habe sie uns für den Predigt-Schluss aufgehoben – Lass dein Licht auf Erden siegen, die Macht der Finsternis erliegen,  … dass wir, die Völker und die Thronen geschwisterlich gemeinsam wohnen in deines großen Vaters Haus.

Jetzt habe ich den Wortlaut im Gesangbuch vereint als Brüder wieder wohnen - geschlechtergerecht ein wenig abgeändert. Das Lied mit dem Vaterhaus am Schluss richtet sich auf dasselbe Ziel wie der Hymnus aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi, den wir schon gemeinsam gesprochen haben (EG 764), mit der Schlusszeile zur Ehre Gottes, des Vaters. Ich lese ihn jetzt mit der einleitenden Zeile:  

2,5 Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:

6 Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,/

7 sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. /

Sein Leben war das eines Menschen; / 8 er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz. // 

9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht / und ihm den Namen verliehen, / der größer ist als alle Namen, /

10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde / ihre Knie beugen in dem Namen Jesu (Jesaja 45,23)

11 und jeder Mund bekennt: / «Jesus Christus ist der Herr (kyrios)» - / zur Ehre Gottes, des Vaters.

 

Wie wird das in Philippi angekommen sein? Dort wohnten viele Veteranen, ausgediente Soldaten. Sie waren stolz darauf, dem Kaiser militärisch zu seiner höchsten Stellung verholfen zu haben.  Die Geldmünzen zeigten sein Bild und seine Titel: Imperator, oberster Priester, Vater des Vaterlandes, der Göttliche, der Erhabene.

Jeder von denen suchte krampfhaft seine höchste Stellung zu behalten. Ein relativ kleiner König Herodes ließ Frau und Söhne umbringen, um fest auf seinem Thron zu sitzen. Ein Autokrat in Moskau bewerkstelligt so etwas heute raffinierter. Auch anderswo kleben alte Männer an der Macht, als wären sie die letzte Generation.

In Philippi kannten die römischen Krieger sicher die Sage von Romulus, der vom Himmel kam, um die ruhmreiche Stadt Rom  zu gründen und wieder in den Himmel zurückzukehren.

Das Christuslied im Philipperbrief erzählt die Gegengeschichte: Von einem Menschen aus Fleisch und Blut, der von vornherein, sozusagen von Himmel her, nicht an Macht klebt. Seine Ruhmestat ist, sich zu den Machtlosen zu gesellen, zu den Mühseligen und Beladenen. So konsequent, dass er unlängst den Tod gestorben ist, mit dem im römischen Imperium aufständische Sklaven massenweise bestraft wurden. Den Tod am Marterpfahl, am Kreuz.

Und dieser eine sollte vom höchsten Gott, dem Vater im Himmel, zur höchsten Stellung erhoben worden sein?   Das geht die klein gemachten, die ausgenutzten, verachteten Leute etwas an. Mit dem Vaterunser-Gebet Jesu im Herzen dürfen alle, äußerlich mehr oder weniger frei, sich als Kinder Gottes ansehen und untereinander als Geschwister. Auch kleine Kinder dürfte man nicht mehr wie Untertanen behandeln.

Paulus hat damals wohl kaum Geschichten aus Jesu kurzem Leben in seinem Vorrat gehabt. Etwa, dass Jesus gesagt habe: Ihr sollt euch nicht Vater nennen lassen, Einer ist euer Vater, der im Himmel.

Oder: Wer Gottes mütterliche und väterliche Güte nicht erfährt dankbar wie ein Kind, der versteht nichts davon. Er war sich als Lehrer nicht zu gut, mit Kindern zu spielen, sich um Kranke zu kümmern.

Als jemand ihn als einen guten Meister anredete, da sagte er: Was nennst du mich gut? Einer ist gut, Gott allein. Oder: Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener.

Paulus hat solche Sprüche von Jesus anscheinend nicht in seiner Reisetasche. Nur Teile seiner jüdischen Bibel, die wir das Alte Testament nennen.

Aus ihr war den frühesten Christen vor allem ein Text wichtig, der von dem Knecht Gottes, der von Gott erhöht worden ist. Er stammt aus dem 6. Jahrhundert vor Chr. Jerusalem war zerstört, große Teile des Volks waren nach Babylon verschleppt und hatten keinen König mehr.

Deshalb werden die bekannten Worte, die wir in der Schriftlesung gehört haben (Jesaja 52,13-15; 53,4-5), ursprünglich von den Königen nichtjüdischer Völker gesprochen.  Sie schweigen nicht angesichts von Opfern brutaler Gewalt. Sie bekennen sich zu ihrer eigenen und zur Verantwortung ihres Volkes für Misshandlung und Mord. Sie beugen ihre Kniee wie einst Willy Brandt in Warschau im Gedenken an das Ghetto.

Auf Israel und Palästina von heute übertragen: Regierungsvertreter von beiden Seiten treffen sich an den Gräbern und sprechen zu den Trauernden und Verzweifelten. Die ganze Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind, hat sich an Menschen ausgetobt, die unschuldig waren, die sich selbst sogar für Frieden zwischen uns und euch eingesetzt haben. Jetzt fragen wir mit euch: Wozu sind sie gestorben?  

Und wo sind die Toten jetzt, auf eurer und auf unserer Seite?  Die in den Schutzräumen eines Kibbuz erstickten und verbrannten. Oder die unter dem Schutt eines zerbombten Hauses in Gazaland begrabenen?

Wo sind die Kriegstoten, ukrainische, russische?  Sind sie im Himmel, auf der Erde  - oder unter der Erde in der Unterwelt, in der Hölle? Das Christuslied sagt: In dem Namen Jesu sollen sich alle beugen vor Gott, dem einen Vater, der einen Mutter des Lebens aller Menschen. Die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.    Auf Erden sind auch die Toten weiter in den Herzen der Menschen die um sie trauern, weil sie sie lieben. - In der Gewalt des Todes, des Hades oder der Hölle sind sie, wenn sie nichts anderes wollen oder man sich nichts anderes denken kann als dass sie gerächt sein wollen, und dass die Rache fortgesetzt wird durch eskalierende Gewalt.

Im Himmel, auf dem Weg zum Himmel aber sind sie, wenn sie nach Frieden rufen und nach Versöhnung - in Israel und in Gaza, in der Ukraine und in Russland, diesseits und jenseits all der tödlichen Grenzen:    Hört endlich auf, euch auf die Mündungen eurer Geschütze zu verlassen, öffnet eure Münder und sprecht miteinander! Die Strafe für die Sprachlosigkeit unserer Völker lag auf  uns - Wozu? Nur damit endlich wieder über eine gemeinsame Zukunft des Lebens geredet wird, und dass Friede wird.

Dafür demonstrieren etwa in Tel Aviv viele Angehörige von den Ermordeten des 7. Oktober, gemeinsam mit Angehörigen von Geiseln. Sie protestieren gegen eine Regierung, die vor allem von Rache getrieben nur Feinde vernichten will bis zum totalen Sieg. Das Leben der Geiseln ist für sie zweitrangig.

Deswegen gehen Großeltern auf die Straße mit den Fotos ihrer getöteten Kinder und Enkel. Sie nehmen den Namen Jesus Christus nicht in den Mund. Aber ich sehe sie an der Seite des Juden Jesus.

Das christliche Bekenntnis sagt: zwischen dem gekreuzigt und dem auferstanden, zwischen Karfreitag und Ostersonntag, am Ende der Woche, die heute beginnt, am Ostersabbat ist Christus in das Reich des Todes hinabgestiegen. Also gleichsam Hand in Hand mit der stillen Fürstin, Frau Sabbat. Mit Israels königlicher Braut steigt der Friedefürst hinab in das Reich des Todes.

Wozu? Um denen, die in der zwanghaften Logik des Todes gefangen sind, den Weg aus der Hölle zum Himmel zu öffnen. Um besonders all denen, deren Mund in  einem gewaltsamen Tod verschlossen wurde, Sprache zu verleihen. Um ihren Ruf nach Versöhnung mit den Feinden hören zu lassen:

O Lass dein Licht auf Erden siegen... EG 14,6   

 

Gebet und Vaterunser

Du unser Vater im Himmel, deinen Namen dürfen wir anrufen

an der Seite Jesu.

Als er das Licht der Welt erblickte, haben die Boten des Himmels

Dir die Ehre gegeben und auf der Erde Frieden verheißen.

Was soll dein Reich, um das wir mit der ganzen Christenheit bitten, anderes bedeuten?

Um deine Herrschaft bitten wir doch mit jüdisch und muslimisch Glaubenden.

Dein Wille, dein Wohlgefallen ist Leben und Frieden

nicht nur im Himmel der schönen Ideale,

sondern hier auf der geplagten Erde,

die unter Mangel, Unrecht und Umweltsünden leidet.

Vergib uns unsere Schuld, die Sprachlosigkeit unter einzelnen

und unter den Völkern, die oft zu Gewalt führt.

Wie sollen wir uns aus ihren Zwängen befreien,

wenn wir nicht bereit sind zu vergeben und einen neuen Anfang zu machen?

Befreie uns von der Versuchung, um unserer Überlegenheit willen Kriege zu führen

und mehr und mehr Menschenleben zu opfern.

Und erlöse uns von den Übeln, die uns Angst machen,

am meisten aber von der Angst, die keinen Grund hat,

weil das Reich und die Kraft und die Schönheit in Ewigkeit

zuletzt nicht unsere Sorgen sein müssen, sondern deine guten Gaben sind.

So bitten wir mit den Worten Jesu: Vaterunser ….

 

Jesaja 52,13 Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein.

14 Wie sich viele über ihn entsetzten, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch und seine Gestalt nicht wie die der Menschenkinder, 15 so wird er viele Völker in Staunen versetzen, dass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn was ihnen nie erzählt wurde, das werden sie nun sehen, und was sie nie gehört haben, nun erfahren: …..

53,4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

 

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